
Wenn die Welt brennt: Wie externe Krisen unsere innere Balance stören
Externe Krisen als Dauerstress
Menschen sind soziale Wesen. Wir tragen in uns die Fähigkeit, uns mit anderen verbunden zu fühlen – selbst dann, wenn wir sie gar nicht persönlich kennen. Wenn wir hören oder sehen, dass irgendwo Leid geschieht, berührt uns das. Ob es sich um eine Naturkatastrophe am anderen Ende der Welt handelt, um einen Krieg in Europa oder um eine persönliche Tragödie in unserer Nachbarschaft: Das Wissen um die Not anderer geht nicht spurlos an uns vorbei. Die Psychologie spricht in diesem Zusammenhang von sekundärer Traumatisierung. Schon das bloße Miterleben über Nachrichten, Bilder oder Erzählungen kann körperliche und seelische Stressreaktionen hervorrufen – von Schlafstörungen über innere Unruhe bis hin zu anhaltenden Angstgefühlen.
Ein prägnantes Beispiel dafür ist die Klimakrise. Sie ist nicht nur eine ökologische, sondern längst auch eine psychische Herausforderung. Eine internationale Studie der Universität Bath zeigt: Fast 60 Prozent der befragten Jugendlichen fühlen sich „sehr oder extrem besorgt“ über die Folgen des Klimawandels. Diese Sorge hat inzwischen einen eigenen Namen: Klimaangst. Gemeint ist eine Mischung aus Zukunftsangst, Trauer über den Verlust von Natur und Artenvielfalt sowie dem lähmenden Gefühl, selbst kaum Einfluss auf das Geschehen nehmen zu können. Für viele junge Menschen wird diese Angst zu einem dauerhaften Begleiter, der Motivation rauben und Hoffnung infrage stellen kann.
Noch unmittelbarer zeigen sich die psychischen Folgen bei Kriegen und Fluchtbewegungen. Der Angriffskrieg auf die Ukraine hat nicht nur die Menschen im Krisengebiet selbst in existenzielle Not gestürzt, sondern auch weit darüber hinaus seelische Spuren hinterlassen. Auch in Deutschland berichten viele von einer erhöhten inneren Anspannung, von Angst vor einer Eskalation oder gar einer Ausweitung des Konflikts. Hinzu kommen Schuldgefühle: das bedrückende Bewusstsein, in Sicherheit zu leben, während andere um ihr Überleben kämpfen. Solche Gefühle sind keineswegs irrational – sie spiegeln unsere menschliche Fähigkeit zur Empathie wider. Doch in der Dauerbelastung können sie zur echten psychischen Herausforderung werden.
Ein drittes Beispiel liefert die Corona-Pandemie. Kaum ein Ereignis der jüngeren Vergangenheit hat so deutlich gezeigt, wie sehr ein anhaltender Ausnahmezustand die mentale Widerstandskraft aufzehren kann. Plötzlich war das vertraute Leben von Kontaktbeschränkungen, Unsicherheit und ständiger Sorge um die Gesundheit überschattet.
Für viele Menschen bedeutete die Pandemie Monate oder gar Jahre in einem Zustand latenter Alarmbereitschaft. Die Folge: Auch nachdem die akute Krise abgeklungen ist, fühlen sich viele noch Jahre später verletzlicher, weniger belastbar und schneller überfordert.
Diese Beispiele machen deutlich: Externe Krisen sind mehr als Schlagzeilen. Sie wirken tief in unser emotionales Erleben hinein und können sich wie ein permanenter Stressor im Alltag bemerkbar machen. Das Gefühl, in einer Welt zu leben, die unberechenbar und gefährlich geworden ist, prägt unser Denken, Fühlen und Handeln – selbst dann, wenn wir auf den ersten Blick nicht direkt betroffen sind.
Psychische Mechanismen dahinter
Dass externe Krisen uns so tief bewegen, hat verschiedene Ursachen – biologische, gesellschaftliche und emotionale. Angst beispielsweise ist kein Fehler in unserem System, sondern ein uralter Überlebensmechanismus. Evolutionsbiologisch betrachtet half sie unseren Vorfahren, Gefahren rechtzeitig zu erkennen und schnell zu reagieren. Dieses Programm läuft bis heute in uns ab. Das Problem: Unser Körper unterscheidet nicht zwischen einem nahenden Raubtier und den Bildern einer Naturkatastrophe auf dem Smartphone. Die Reaktion ist dieselbe – erhöhte Wachsamkeit, innere Unruhe, Stress.
Hinzu kommt die mediale Dauerpräsenz. Noch nie zuvor in der Geschichte waren wir so ununterbrochen mit Bildern von Krisen konfrontiert. Push-Nachrichten, Live-Ticker, endlose Social-Media-Feeds – all das erzeugt das Gefühl, ständig in Alarmbereitschaft sein zu müssen. Selbst wenn wir zur Arbeit gehen, mit der Familie essen oder abends zur Ruhe kommen wollen, dringt die Weltlage ungefiltert zu uns durch. Das Gehirn bekommt kaum Gelegenheit, Abstand zu gewinnen.
Ein weiterer Faktor ist das Gefühl der Ohnmacht. Bei persönlichen Problemen haben wir zumindest die Möglichkeit, aktiv zu handeln: Wir können ein Gespräch suchen, Entscheidungen treffen oder Unterstützung organisieren. Doch bei globalen Krisen sind unsere Einflussmöglichkeiten begrenzt. Wir sehen die Bilder, spüren die Sorgen, wissen aber gleichzeitig, dass unser individueller Beitrag nur wenig am großen Ganzen verändert. Diese Hilflosigkeit verstärkt Stress und kann in Resignation münden.
Schließlich spielt unsere soziale Verbundenheit eine zentrale Rolle. Empathie ist eine unserer größten Stärken: Sie macht uns fähig, Mitgefühl zu empfinden und solidarisch zu handeln. Doch wenn wir uns in die Lage anderer hineinversetzen, übernehmen wir unweigerlich einen Teil ihrer Gefühle – auch Angst, Trauer oder Verzweiflung. In Maßen ist das heilsam und menschlich, im Übermaß jedoch eine Last, die uns selbst krank machen kann.
So zeigt sich: Die Reaktion auf externe Krisen ist kein individuelles Versagen, sondern Ausdruck menschlicher Natur. Unsere Biologie, die Medienrealität und unsere Fähigkeit zur Empathie wirken zusammen – und machen uns gleichzeitig verletzlich wie auch fähig zur Solidarität.
Wer besonders gefährdet ist
Nicht alle Menschen reagieren gleich stark auf externe Krisen. Während manche vergleichsweise gelassen bleiben und sich bewusst abgrenzen können, geraten andere schnell an ihre psychischen Grenzen. Besonders gefährdet sind Jugendliche und junge Erwachsene. Sie befinden sich ohnehin in einer Lebensphase, die von Fragen nach Identität, Zugehörigkeit und Zukunft geprägt ist. Wenn dann zusätzlich globale Unsicherheiten wie Klimawandel, Kriege oder wirtschaftliche Krisen hinzukommen, fühlen sie sich oft doppelt belastet. Die Sorge, wie es mit ihrer eigenen Zukunft weitergeht, verschränkt sich mit den Ängsten um die Welt insgesamt – und kann so das Gefühl hervorrufen, in einer unkontrollierbaren Realität zu leben.
Auch Menschen, die bereits Vorerfahrungen mit psychischen Erkrankungen haben, sind besonders anfällig. Wer schon einmal mit Depressionen, Angststörungen oder Traumata zu kämpfen hatte, trägt diese Verletzlichkeit auch in neue Krisen hinein. Externe Bedrohungen können alte Wunden aufreißen oder bestehende Symptome verstärken. Aus einer ohnehin fragilen Balance wird so schnell ein erneutes Ungleichgewicht.
Ein weiterer Risikofaktor ist ein hoher Medienkonsum. Wer Nachrichten ständig und ungefiltert aufnimmt, ohne bewusst Pausen einzulegen, versetzt sich selbst in einen Dauerstress. Die ständige Konfrontation mit dramatischen Bildern, Schlagzeilen und Kommentaren führt dazu, dass der Kopf kaum zur Ruhe kommt. „Doomscrolling“ – das endlose Scrollen durch negative Nachrichten – kann so selbst zu einer Form psychischer Belastung werden.
Schließlich sind auch Menschen besonders betroffen, die eine direkte oder indirekte Verbindung zu Krisenregionen haben. Wer Familie oder Freunde in einem Kriegsgebiet hat, lebt oft in ständiger Sorge um deren Sicherheit. Doch auch eine emotionale oder kulturelle Verbundenheit reicht aus, um sich unmittelbar betroffen zu fühlen. Jede neue Meldung, jedes Bild kann dann eine Welle von Angst und Trauer auslösen.
Diese Beispiele zeigen: Die Belastung durch externe Krisen trifft nicht alle gleich. Sie hängt von Lebensphase, Vorerfahrungen, Umgang mit Medien und persönlichen Bindungen ab. Ein Bewusstsein dafür hilft, besonders gefährdete Gruppen gezielt zu unterstützen und ihnen Wege aufzuzeigen, besser mit den Belastungen umzugehen.
Der „Notfallkoffer für den Kopf“: Strategien für den Alltag
Auch wenn wir externe Krisen nicht verhindern können, liegt es in unserer Hand, wie wir mit den damit verbundenen Gefühlen umgehen. Es geht nicht darum, sich abzuschotten oder wegzuschauen – sondern darum, bewusst mit der eigenen Aufmerksamkeit und Energie umzugehen.
Checkliste: 6 Wege, die innere Balance zu bewahren
Nachrichten bewusst dosieren
Feste Zeiten für den Nachrichtenkonsum (z. B. morgens und abends)
Push-Nachrichten ausschalten, um ständige Alarmbereitschaft zu vermeiden
Medienkompetenz üben
Auf seriöse Quellen achten, Fake News meiden
„Doomscrolling“ bewusst stoppen: Wenn die Timeline nicht mehr informiert, sondern nur noch überfordert, ist eine Pause sinnvoll
Sich selbst erden
Kurze Achtsamkeitsübungen: Atem zählen, Bodyscan, fünf Dinge im Raum bewusst wahrnehmen
Bewegung im Alltag: Spaziergänge, Sport, Yoga – bewiesene Stresslöser
Soziale Nähe nutzen
Gespräche mit Familie, Freund:innen oder Kolleg:innen helfen, Sorgen zu teilen
Ehrenamtliches Engagement oder Spenden können Ohnmacht in Handlungsfähigkeit verwandeln
Rituale für Sicherheit
Routinen geben Stabilität: feste Essenszeiten, kleine Morgen- oder Abendrituale
Tagebuch führen: Sorgen aufschreiben entlastet
Hilfe annehmen
Warnsignale ernst nehmen: Schlaflosigkeit, dauerhafte Angst, Erschöpfung.
Professionelle Hilfe: Hausärzt:innen, psychologische Beratungsstellen wie REDEZEIT FÜR DICH
Resilienz statt Resignation
Externe Krisen führen uns immer wieder vor Augen, wie verletzlich unser Leben ist. Ein Naturereignis, das ganze Landstriche zerstört, ein Krieg, der Millionen Menschen entwurzelt, oder eine Pandemie, die den Alltag von heute auf morgen auf den Kopf stellt – all das zeigt, dass Sicherheit nie selbstverständlich ist. Doch inmitten dieser Erfahrungen von Zerbrechlichkeit steckt auch eine andere Botschaft: Wir Menschen besitzen die Fähigkeit, uns immer wieder aufzurichten.
Diese Fähigkeit wird mit dem Begriff Resilienz beschrieben. Resilienz bedeutet nicht, unerschütterlich oder unverwundbar zu sein. Es heißt vielmehr, dass wir nach einem Rückschlag wieder ins Gleichgewicht finden können – manchmal langsam, manchmal mit Umwegen, aber stets getragen von der inneren Kraft, weiterzumachen. Resiliente Menschen erleben genauso Angst, Trauer oder Verzweiflung wie andere. Der Unterschied liegt darin, dass sie Wege finden, mit diesen Gefühlen umzugehen, statt an ihnen zu zerbrechen.
Der Weg zur Resilienz besteht oft aus kleinen Schritten. Manchmal ist es die Entscheidung, für ein paar Tage auf Nachrichten zu verzichten und dem eigenen Kopf eine Pause zu gönnen. Manchmal ist es das Gespräch mit einer vertrauten Person, das uns daran erinnert, dass wir nicht allein sind. Auch alltägliche Routinen können einen Anker bieten: ein Spaziergang in der Natur, das bewusste Pflegen von Hobbys oder das Festhalten an einem festen Tagesablauf. Solche scheinbar unscheinbaren Handlungen wirken wie Bausteine, die zusammen ein stabiles Fundament ergeben.
Entscheidend ist dabei auch die gegenseitige Unterstützung. Resilienz entsteht nicht nur im Einzelnen, sondern auch in Gemeinschaften. Wenn wir füreinander da sind, uns zuhören, Trost spenden oder einfach nur gemeinsam aushalten, wird die Last leichter. Gerade in Zeiten globaler Unsicherheit sind diese Netzwerke aus Familie, Freundeskreis oder Nachbarschaft ein unverzichtbarer Halt.
Resilienz ist also keine starre Eigenschaft, die man entweder hat oder nicht hat. Sie ist ein dynamischer Prozess, der gelernt, gestärkt und gepflegt werden kann. Jeder kleine Schritt – sei es eine bewusste Atempause, eine Stunde Offline-Zeit oder das Teilen der eigenen Sorgen mit anderen – ist ein Akt der Selbstfürsorge und gleichzeitig ein Zeichen von Stärke. So wird aus der Erfahrung von Unsicherheit nicht Resignation, sondern die Möglichkeit, die eigene innere Kraft neu zu entdecken.
Quellen & weiterführende Links
Hickman, C., Marks, E., Pihkala, P. et al. (2021). Climate anxiety in children and young people and their beliefs about government responses to climate change: a global survey. The Lancet Planetary Health.
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): Psychische Gesundheit & Stressbewältigung.
Aktionsbündnis Seelische Gesundheit: www.seelischegesundheit.net
Telefonseelsorge Deutschland: www.telefonseelsorge.de
WHO-Bericht (2022): Mental health and COVID-19: early evidence of the pandemic’s impact.

Über die Autor:innen
Die Redaktion von REDEZEIT FÜR DICH ist ein Team aus Experten für psychische Gesundheit, professionellen Coaches und engagierten Schreibern, die sich der Aufgabe verschrieben haben, Wissen und Einsichten rund um das Thema seelisches Wohlbefinden zu verbreiten. Mit einem tiefen Verständnis für die Herausforderungen des modernen Lebens und einem umfassenden Erfahrungsschatz in der Unterstützung von Menschen in Krisensituationen, bietet die Redaktion Inhalte, die informieren, inspirieren und Wege zur persönlichen Entfaltung aufzeigen.
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