
Was liegt in meiner Hand?
Es gibt Tage, an denen sich das Leben anfühlt wie ein überfüllter Schreibtisch: überall Zettel, To-dos, Nachrichten, Erwartungen – und mittendrin wir, die den Überblick behalten sollen. In solchen Momenten hilft ein einfaches Bild. Stell dir drei Kreise vor, die wie farbige Rettungsringe umeinander liegen. Im innersten Kreis liegen all die Dinge, über die du wirklich bestimmen kannst. Drum herum der Bereich, in dem du mitgestalten kannst, wenn andere mitziehen. Und außen – groß und schwer – alles, was sich unserem Zugriff entzieht. Wer diese drei Kreise kennt, sortiert schneller, was heute wichtig ist, was warten darf und was getrost von der inneren To-do-Liste verschwinden kann. Das entlastet, schenkt Richtung und stärkt die seelische Gesundheit.
Die Idee dahinter
Das Modell geht auf Stephen R. Covey zurück und unterscheidet zwischen Kontrolle, Einfluss und Ungewissheit. Man kann sich das vorstellen wie drei Lichtkegel. Der innere Kegel leuchtet hell: Hier siehst du genau, was du tun kannst, und deine Handlung hat eine direkte Wirkung. Der mittlere Kegel ist gedämpfter: Du erkennst Möglichkeiten, brauchst aber Mitspielerinnen und Mitspieler, Rahmenbedingungen und manchmal schlicht Zeit. Der äußere Bereich liegt im Halbdunkel: Dort sind Ereignisse, die geschehen, ob du willst oder nicht. Alle drei Bereiche gehören zum Leben – die Kunst liegt darin, die eigene Energie dorthin zu lenken, wo sie tatsächlich etwas bewegt. Wer sein Denken an diesem Bild ausrichtet, erlebt weniger Ohnmacht, trifft klarere Entscheidungen und bleibt auch in bewegten Zeiten handlungsfähig.
Kreis der Kontrolle – „Hier bestimme ich“
Der grüne Kern ist dein Handlungsspielraum aus erster Hand. Hier kannst du entscheiden, wie du heute startest, wie du mit dir sprichst, welche Priorität du einer Aufgabe gibst und ob du dir zwischendurch ein Glas Wasser holst oder dich noch eine Viertelstunde durch den Nachrichtenstrom treiben lässt. Es sind die scheinbar kleinen Bewegungen des Alltags, die in Summe die Richtung deines Lebens bestimmen: der Tonfall in einer Nachricht, die Wahl eines freundlichen „Nein“, die Bereitschaft, aus einem Fehler zu lernen, statt ihn zu verstecken. In diesem Kreis entsteht Selbstwirksamkeit, und genau sie ist ein kräftiger Schutzfaktor für die psychische Gesundheit.
Wenn du dich überfordert fühlst, lohnt der Blick nach innen: Was davon liegt wirklich in meiner Hand? Vielleicht kannst du an der globalen Lage nichts ändern, wohl aber an deinem Medienkonsum. Vielleicht kannst du die Arbeitslast nicht sofort verringern, aber du kannst deinen Kalender für zwei konzentrierte Arbeitsblöcke pro Woche schützen. Vielleicht kannst du die Stimmung im Team nicht komplett drehen, aber du kannst jeden Montag mit einem kurzen, klaren Status starten. Der Kreis der Kontrolle ist kein Ort der Perfektion, sondern der Praxis. Es geht nicht um große Würfe, sondern um wiederholbare Schritte, die du dir zutraust und die dir guttun. Regelmäßiger Schlaf, Pausen, Bewegung, frische Luft, ein kurzer Spaziergang nach dem Mittag, zehn bewusste Atemzüge vor dem wichtigen Gespräch – all das sind Steuerhebel, die sofort verfügbar sind. Je häufiger du sie nutzt, desto vertrauter wird das Gefühl: Ich kann etwas tun, jetzt gleich.
Kurz zusammengefasst
Kleine, wiederholbare Entscheidungen schlagen große Vorsätze: Schlaf, Pausen, Bewegung, Medienhygiene
Fokus entsteht, wenn ich heute eine Sache bewusst wähle und schütze
Selbstwirksamkeit wächst durch Praxis, nicht Perfektion – jetzt handeln statt warten
Kreis des Einflusses – „Gemeinsam bewegen“
Im gelben Ring teilen wir uns die Bühne mit anderen. Hier triffst du auf Kolleginnen, Kollegen, Vorgesetzte, Kundinnen, Partner, Familie und Freunde. Du steuerst nicht allein, doch du kannst viel bewirken, wenn du klar sagst, was dir wichtig ist, und wenn du einlädst, statt zu fordern. Einfluss beginnt oft mit einem Gespräch, das die Dinge in Worte fasst: Was ist mein Ziel? Was brauchen wir dafür? Was ist ein tragfähiger Kompromiss? Wer so spricht, schafft Orientierung und erhöht die Chance, dass andere mitgehen. In Teams wächst Einfluss, wenn Verlässlichkeit spürbar wird – kleine Zusagen, die gehalten werden, klare Absprachen, die nicht im E-Mail-Nebel verschwinden, und ein gemeinsames Verständnis davon, was „fertig“ bedeutet.
Auch Grenzen gehören in diesen Kreis. Wer „Ja“ sagt, obwohl ein „Nein“ ehrlicher wäre, verliert auf Dauer an Einfluss, weil Erwartungen unscharf bleiben und Vertrauen leidet. Ein respektvolles „Das schaffe ich bis Dienstag, heute nicht“ ist kein Affront, sondern eine Einladung, lösungsorientiert zu planen. Ebenso wirksam ist es, Alternativen vorzuschlagen: Wenn Plan A nicht funktioniert, könnte Plan B uns dem Ziel näherbringen. Mit der Zeit entsteht so ein Netz aus Kooperation, das den gelben Ring größer wirken lässt. Du wirst erleben: Je klarer du kommunizierst, je häufiger du um Feedback bittest und je sichtbarer du selbst Verantwortung übernimmst, desto mehr Türen öffnen sich – nicht alle, aber genug, um gemeinsam voranzukommen.
So stärkst du deinen Einfluss
Klar sagen, was wichtig ist: Bedürfnis, Vorschlag, gemeinsamer Nutzen.
Grenzen respektvoll benennen und Alternativen anbieten.
Verlässlichkeit und Feedback machen Einfluss sichtbar und erweitern ihn Schritt für Schritt.
Kreis der Ungewissheit – „Loslassen, ohne wegzuschauen“
Der rote Außenkreis erinnert uns daran, dass das Leben größer ist als unsere Pläne. Naturereignisse, politische Entscheidungen, globale Krisen, ein Streik, eine Erkrankung im Umfeld – vieles liegt jenseits unseres Zugriffs. Das ist ernüchternd, manchmal auch beängstigend. Gleichzeitig wird es leichter, wenn wir uns erlauben, beides nebeneinander zu halten: die Akzeptanz, dass manches unverfügbar bleibt, und die Bereitschaft, trotzdem gut für uns zu sorgen. Gelassenheit bedeutet hier nicht Gleichgültigkeit. Sie heißt: Ich anerkenne die Realität, ohne mich von ihr vollständig bestimmen zu lassen.
Hilfreich ist eine Haltung der klugen Dosierung. Informationen sind wichtig, doch sie wollen portioniert werden, damit sie nicht zu Dauerlärm werden. Wer Nachrichten zu festen Zeiten konsumiert und vertrauenswürdige Quellen nutzt, behält inneren Raum für das, was unmittelbar ansteht. Ebenso entlastend wirkt Vorbereitung im Maß der Vernunft: eine Liste mit Notfallnummern, geordnete Unterlagen, ein Plan B für den Arbeitsweg. All das sind keine Schutzschilde gegen das Unvorhersehbare, aber gute Regenschirme für wechselhaftes Wetter. In stürmischen Phasen tragen einfache Rituale – ein Abendspaziergang, ein Telefonat mit einer vertrauten Person, eine ruhige Atemübung vor dem Schlaf – erstaunlich weit. Wir können die Wellen nicht stoppen, doch wir können lernen, in ihnen zu schwimmen.
Gelassener Umgang mit Nicht-Planbarem
Akzeptieren, was ich nicht steuern kann – und meine Reaktion gestalten.
Informationen dosieren: richtige Quelle, klare Zeiten, begrenzte Dosis.
Vorbereitung im Maß: kleine Pläne, einfache Rituale, Hilfe annehmen.
Anwendung im Alltag – „Vom Bild zur Bewegung“
Das Modell entfaltet seine Kraft, wenn es aus dem Kopf auf Papier kommt und von dort in den Tag wandert. Nimm dir ein Blatt oder unsere Grafik, schreib auf, was dich beschäftigt, und ordne es den drei Kreisen zu. Schon dieser Schritt bringt Ordnung in das diffuse „Alles ist viel“. Oft zeigt sich, dass der grüne Bereich reichhaltiger ist, als es sich zunächst anfühlt. Wer sieht, was in der eigenen Hand liegt, findet leichter den ersten Schritt. Aus dem gelben Bereich entstehen Gespräche, kleine Verabredungen, Bitten und Angebote. Und der rote Bereich bekommt einen Rahmen: Er ist da, aber er bestimmt nicht die Regie. In dieser sortierten Sicht fällt es leichter, den Tag bewusst zu beginnen, Zwischenstopps einzubauen und abends zu würdigen, was gelungen ist – nicht als Leistungsprotokoll, sondern als freundliche Rückmeldung an sich selbst. So wird aus einem statischen Schaubild ein lebendiges Navigationsinstrument.
So wendest du das Modell in 5 Minuten an
Liste: Schreib alles auf, was dich gerade beschäftigt.
Sortiere: Markiere grün (Kontrolle), gelb (Einfluss), rot (Ungewissheit).
Wähle: Aus grün eine Sache für heute. Aus gelb eine Sache für diese Woche.
Formuliere: „Ich tue X bis Zeitpunkt, damit Nutzen.“
Loslassen: Für rot notiere: „Nicht in meiner Hand. Mein nächster Selbstfürsorge-Schritt ist …“
Drei Alltagsbeispiele – so fühlt es sich an
In einer Familie mit Kindern prallen häufig Bedürfnisse aufeinander. Morgens entscheidet eine Person, ob das Handy am Frühstückstisch liegen bleibt oder in der Tasche verschwindet. Das ist grüne Zone. Nachmittags braucht es gelben Dialog, wenn es um die Aufteilung von Fahrdiensten, Einkäufen oder Ruhezeiten geht. Die Schule fällt aus oder der Verein sagt das Training ab – roter Bereich, unbequem, aber nicht in deiner Macht. Wenn abends dennoch zwanzig Minuten ungeteilte Aufmerksamkeit übrigbleiben, vielleicht beim gemeinsamen Lesen oder beim Bau einer kleinen Legostadt, spürt die Familie, wie Kontrolle und Einfluss zusammenwirken: wenig Spektakel, viel Wirkung.
Im Arbeitsumfeld zeigt sich das Modell ähnlich. Du kannst deine E-Mails zu zwei festen Zeiten bündeln, dir fokussierte Arbeitsblöcke reservieren, klare Statusberichte schreiben und verständlich formulieren, was du brauchst, um gute Arbeit zu leisten. Das ist grün. Gelb wird es, wenn du mit deinem Team ein Meeting kürzer und zielorientierter gestaltest oder wenn du mit deiner Führungskraft einen realistischen Umfang abstimmst. Strategische Neuausrichtungen, Budgetstopps oder politische Entscheidungen beeinflussen den Betrieb, bleiben aber rot. Wer den Blick auf die eigenen Stellhebel richtet und sie konsequent nutzt, erlebt, dass Qualität und Zufriedenheit zunehmen – mit spürbaren Effekten auf das Miteinander.
Beim Thema Gesundheit denken viele zuerst an ärztliche Termine, und die sind wichtig. Doch davor liegt ein weiter grüner Bereich: regelmäßiger Schlaf, Bewegung, frische Luft, Pausen, ausreichend Wasser, sorgsamer Umgang mit Medien, liebevolle Selbstgespräche statt harter Selbstkritik. Gelb wird es, wenn du Fragen an die Ärztin mitnimmst, eine zweite Meinung einholst oder im Freundeskreis um Begleitung bittest. Rote Faktoren wie Wartezeiten oder Systemfragen bleiben, aber sie verlieren ihre erdrückende Größe, wenn du spürst, wie stark die Summe deiner kleinen Entscheidungen wirkt.
Für Teams und Führung – gemeinsame Handlungsfähigkeit bauen
Teams profitieren enorm, wenn die drei Kreise Teil der gemeinsamen Sprache werden. Schon ein kurzer Einstieg in ein Meeting – was gehört heute in Grün, was in Gelb, was in Rot – schärft den Fokus und verhindert endloses Kreisen um Unveränderliches. Führung zeigt sich hier nicht im lauten Durchregieren, sondern in der Kunst, Klarheit zu schaffen, Prioritäten zu benennen und Rahmen zu schützen, in denen Menschen konzentriert arbeiten können. Wenn Ergebnisse nicht nur abgehakt, sondern auch kurz gewürdigt werden, wächst das Gefühl von Selbstwirksamkeit im ganzen System. Gerade in Phasen des Wandels, wenn Unsicherheit naturgemäß zunimmt, halten solche Routinen ein Team auf Kurs. Sie sagen: Wir können nicht alles bestimmen, aber wir können viel gestalten, und wir tun es miteinander.
Wenn es gerade schwer ist – du musst nicht allein sein
Manchmal reicht ein Artikel nicht und auch das beste Modell nicht. Dann hilft ein echtes Gespräch. Jemand, der zuhört, ohne zu bewerten, der nachfragt, sortiert und mit dir herausfindet, welcher kleine Schritt jetzt gut wäre. Wenn es dir so geht, melde dich. Bei REDEZEIT FÜR DICH findest du Menschen, die genau dafür da sind. Ein Anruf kann die Last nicht wegzaubern, aber oft wird sie tragbar, sobald du sie mit jemandem teilst. Das ist keine Schwäche, sondern ein kluger Schritt in Richtung Stärke.

Über die Autor:innen
Die Redaktion von REDEZEIT FÜR DICH ist ein Team aus Experten für psychische Gesundheit, professionellen Coaches und engagierten Schreibern, die sich der Aufgabe verschrieben haben, Wissen und Einsichten rund um das Thema seelisches Wohlbefinden zu verbreiten. Mit einem tiefen Verständnis für die Herausforderungen des modernen Lebens und einem umfassenden Erfahrungsschatz in der Unterstützung von Menschen in Krisensituationen, bietet die Redaktion Inhalte, die informieren, inspirieren und Wege zur persönlichen Entfaltung aufzeigen.
In den Artikeln der REDEZEIT FÜR DICH Redaktion finden Leserinnen und Leser eine sorgfältig kuratierte Mischung aus praktischen Ratschlägen, tiefgehenden Reflexionen und motivierenden Geschichten. Jeder Beitrag wird mit dem Ziel verfasst, Leser zu ermutigen, ihre mentale Gesundheit zu priorisieren, die eigene Resilienz zu stärken und ein unterstützendes Netzwerk aufzubauen.
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