Auf Gesprächsreise: Du erfährst erst mehr über dich und deine Möglichkeiten, wenn du mehr von dir preisgibst

Ich befinde mich seit 2019 auf einer Gesprächsreise. Zu Beginn hatte die Reise noch keinen Namen, da sie als Reise nicht bewusst angelegt war. Erst nach ein paar mehr Schritten auf dem Weg betitelte ich sie als Transformationsreise, um sie als Gesprächssuchender sinnvoll vermitteln zu können. Vermitteln anderen, aber auch mir selbst gegenüber. Und da das Wort Transformation für mein Gefühl bereits inflationär Verwendung findet, nannte ich sie kurzerhand in Gesprächsreise um. Weil Gespräch weniger mainstream klingt, vielleicht aber auch, weil das Gespräch sich offener im Ausgang zu gestalten scheint als die Transformation, die ja irgendwann abgeschlossen sein will. Meine Sicht auf das Thema hat sich aber auch während der Reise bereits begonnen zu verändern.

Aber einmal ganz von vorne...

Mein Name ist René, ich lebe mit meiner Familie in Hamburg und bin Dozent, Designer, Mentor, Gründer und noch einiges mehr. Es fällt mir schwer, mich mit nur einer Nennung zu begnügen. Die Neugierde treibt mich unablässig voran, und nicht immer nur in eine Richtung. Fluch und Segen. Als Elektriker gestartet, als Rettungssanitäter den Zivildienst geleistet, machte ich mich später nach Hamburg auf, um im zweiten Bildungsweg das Hobby zum Beruf zu machen: Design. 

Nach einem Design-Studium in Hamburg, folgten Freelancer-Jahre und der Aufbau einer eigenen kleinen Agentur. Synchron gab und gebe ich noch heute als Dozent meine Erfahrungen an Jüngere weiter und begleitete einige von ihnen bis in den Job. Aber auch die schönste Zeit hat eine Uhr, und so habe ich nach erfolgreichen 12 Jahren die Agentur an eine größere angeschlossen und mich selbst in Anstellung begeben, um das Konstrukt sauber begleiten zu können. Ein unternehmerischer Boxenstopp, verschnaufen, sortieren und dann ... was Neues finden und angehen. Was das sein könnte, war mir aber nicht klar. In der Agenturwelt bleiben, doch noch mehr in Richtung Bildung gehen, was ganz Neues? Bestmöglich etwas finden oder kreieren, was die verschiedenen Erfahrungen, Leidenschaften und auch Wachstumspotenziale miteinander vereint, um den Reibungsverlust verschiedener Baustellen zu reduzieren. Aber wo oder wie anfangen?

Im zurückgewonnen Freiraum zum Neudenken begann ich mit meiner Gesprächsreise. Wie kam es dazu und wie sieht das konkret aus? Hier muss man sagen, dass ich so gut wie nie zu konkreten Zukunftsüberlegungen das Gespräch gesucht habe. Das habe ich immer mit mir selbst ausgemacht, habe intuitiv und spontan entschieden, das gemacht, was der Bauch sagte. Jemanden damit zu behelligen, was er an meiner Stelle tun würde kam für mich nicht in Frage. Wen sollte das interessieren, wer kann ernsthaft für mich mitdenken, nehme ich mich zu wichtig? Und zeigt es nicht auch Schwäche?

Mindmapping als Ausgangspunkt

Nach Introspektion und einigen Mindmappings hatte ich doch das starke Bedürfnis, mich dazu mit jemandem auszutauschen. Wie ich mein fragendes Gesicht auch nur im Spiegel betrachten kann, so brauche ich nun Menschen, die sich meinen Topf voller alter Rezepte und neuer Ideen einmal anhören wollen und mir anschließend ihrer Sicht auf meine Kochplatte darlegen. Mir einmal ehrlich sagen, wie sie die Sache an Stelle meiner angehen würden. Das würde ich spannend finden! Denn kann ich mich wirklich noch selbst überraschen, überzeugen, neu erfinden? 

Einfach mal anfangen, dachte ich und suchte mir beginnend einige Headhunter (Personalvermittler) raus, die ich aus meinem Job auch bereits kannte. Warum sie? Die kennen mich und die kennen den Markt. Sie haben für meine Agentur Personal gesucht und ich habe ihnen Young Talents von der UNI zur Vermittlung übersandt. Sie kennen doch ganz sicherlich viele Szenarien, wie sich Leute da draußen neu aufgestellt haben. Gesagt, getan, ich griff zur Mail und zum Telefon und versuchte mein Glück. Wer nimmt sich wohl die Zeit für ein Gespräch zu meiner Zukunft?!

Die ersten Gespräche

Die ersten Gespräche fanden statt. Meistens im Restaurant, zur Mittagszeit, habe ich also begonnen, meinen Vis a vis über einen gefüllten Teller meine kurz gefasste bisherige Lebensgeschichte nebst einem möglichen Morgen als Topping auf den Salat zu legen. Es folgten interessierte Fragen und erste Bilder dazu, was mein Gegenüber in meiner aktuellen Situation sieht. Interessant für mich vor allen Dingen, welche meiner Punkte verknüpft wurden, gerade dann, wenn diese Verknüpfungen anders waren als die meinigen. 

Die Gesprächszeit verging stets wie im Flug. Wir empfanden oft beide, dass man noch länger sitzen könnte und wir bejahten oft die Frage nach einer Fortsetzung. Ich wollte aber noch etwas mehr aus dem Gespräch mitnehmen als denn nur das Versprechen einer Fortsetzung. Ich hatte zwar jetzt bereits erste Antworten, neue Fragen im Kopf sowie kannte nun eine Person etwas näher, und trotzdem wollte ich noch etwas Greifbares mitnehmen. Etwas, was die Energie zwischen uns hält, weiterführt. Und so bat ich bei der Verabschiedung um eine Empfehlung für eine/n nächste/n Gesprächspartnerin, die oder der für mich und meine Situation intuitiv gut passen würde. Vielleicht jemand, dessen Lebenssituation ähnlich war, ein Overlay an Themen bestünde oder jemand, der immer gute Ratschläge parat hätte, ganz gleich. Dieser Wunsch hat stets gut funktioniert. Oft wurde sogar schnell geantwortet “ich habe da sowieso gerade an jemanden denken müssen“ oder Ähnliches. Super, dachte ich!

Nach einer herzlichen Verabschiedung setzte ich mich zeitnah hin und schrieb diese Person direkt an. Ich erklärte, woher der Kontakt rührt und warum mir diese Empfehlung mitgegeben wurde, verbunden mit dem Wunsch nach einem Kennenlern-Lunch. Und so traf ich einen neuen, mir wohlgesinnten Menschen und konnte ein weiteres gutes Gespräch führen. Ähnliches Script bei mir, aber unterschiedliche Reaktion, Reflexion und Input. Rückfragen an unerwarteten Stellen, andere Ideen, persönliche Anekdoten – großartig. Und wiederum bat ich zum Abschluss um eine Empfehlung. So entwickelte sich eine Strecke an Gesprächen, die ich das erste Mal zählte, als jemand fragte, wie viele ich denn bereits geführt habe, da er sich einbildete, bereits von mir über Dritte gehört zu haben. Nicht das Schlechteste dachte ich und zählte in dem Moment bereits über 50 Gespräche. Wie bitte? So viele hätte ich im Kopf nicht zusammengezählt und war selbst ganz baff.

Gespräche wurden zur Routine

Ich bin nicht der sportlichste Mensch. Als Kind erwiderte ich zum Beispiel auf die Frage nach meinem Lieblingssport oft Schach oder Angeln und lernte darüber vielleicht auch witzig zu sein. Aber im Ernst, ich kann bei einigen Themen schon einen gewissen sportlichen Ehrgeiz entwickeln, nur dass ich die schnellen Runden eher in meinem Kopf drehe als im Gelände. Wenn mir etwas Spaß macht und meine Leidenschaft geweckt ist, dann kann das fix gehen. Und ich war damit viel Leidenschaft dabei! Der Gegenwert an Facts und Weisheiten vom Gegenüber, Infos über mich selbst waren und sind großartig.

Ich habe weitergemacht, ca. zwei Gespräche pro Woche, manchmal mehr. Es wurde zur Routine, besser noch zum Ritual für mich.. Wenn mal ein Gespräch kurzfristig abgesagt bzw. verschoben wurde, war ich sogar etwas geknickt. Es fehlte dann etwas. In Summe habe ich bis kurz vor dem ersten Corona-Lockdown 98 Gespräche geführt und auch in folgenden Remote-Gesprächen eine ganze Menge Input mitgenommen. 

Das “automatische“ Weiterempfehlen führte mich zu einem bunten Reigen an Menschen, aus der Branche, selbstständig oder angestellt, Berater/innen, Künstler/innen, Neudenker/innen, im Alter von Mitte 20 bis Ende 60, in ausgewogener Frau-Mann-Verteilung. Vom Spaziergang und Picknick im Park, an der Imbissbude bis hin zur Wohnhalle eines Vier-Sterne-Hauses.

Gibt es eine "finale" Antwort?

Wie viele Gespräche habe ich insgesamt geplant? Wann erwarte ich “die“ finale Antwort für meinen weiteren Weg? Diese Fragen sind unwichtig geworden. Ich habe das Zählen der Gespräche auch aus den Augen verloren, die genaue Zahl ist nicht wichtig. Mit vielen meiner Gesprächspartner/innen traf und treffe ich mich wiederholt, um weiter auszuführen, am Ball zu bleiben, Projekte anzustoßen und mir weitere Menschen empfehlen zu lassen. Die Folgetreffen verlaufen auch anders als das erste, da der Grundstein bereits gelegt ist. 

Das initiale Script wurde abgelöst, veränderte sich, mit dem Gegenüber, mit der Zeit. Mir ist einiges klar oder zumindest klarer geworden, ich verstehe mehr Zusammenhänge und es gibt auch spannende Verdichtungen von Themen. Ich kann jetzt für mich Dinge ausschließen, die vorher noch auf einer Vielleicht-Liste standen und habe auch ganz neue Listen anlegen können. Das hätte ich allein in (m)einem inneren Dialog niemals geschafft, denn jede/r Gesprächspartner/in brachte mir ein individuelles Spiegelbild mit, ein “von Außen“, welches bildlich wohl auch zu dem Spruch beiträgt “wie reflektiert“ jemand ist. 

Hat mir nun die Gesprächsreise bei meinen Fragen geholfen? Definitiv ja! Ob es konkret eine Antwort auf die eine große Frage gab, was ich nun in Zukunft alternativ beruflich machen werde? Ja und auch nein. Manches lässt man mehr an sich ran, manches schließt man weniger aus. Sehr unterschiedlich.

Das sind die Top-5-Learnings meiner Gesprächsreise:

  1. News über Dich. Wenn du dich sehen willst, schaust du in den Spiegel. Wenn du etwas über dich erfahren willst, dann begebe dich ins Gespräch.

  2. Du denkst, dass Du deine Geschichte nicht gut genug erzählen kannst? Wie bei so vielen Dingen gilt auch hier: erst durch Training wird man gut. Auch hörst Du dabei viele Geschichten Deiner gegenüber, aus denen es zu lernen gilt.

  3. Man erfährt erst mehr über sich und die Möglichkeiten, wenn Du mehr von Dir preisgibst, getreu dem Zitat von Éric-Emmanuel Schmitt, "Das, was du gibst, gehört für immer dir. Das, was du behältst, ist für immer verloren."

  4. Vielfalt vs Einfalt. Eine Vielzahl von neuen Antworten auf Deine Frage, lässt jene unwichtiger werden oder sie auf eine andere Stufe heben. Im Wort Erfahrung steckt die Fahrt.

  5. Selbstsicherheit und Selbstwert erfahren einen Aufwind. Immer wieder seine eigene Geschichte erzählen, Wünsche äußern, Fragen stellen, lässt es Dich selbst mantraartig hören und es kann Deine Selbstsicherheit stärken.

Auf dem Weg bin ich auch über einen interessanten Aspekt von Jim Rohn gestolpert: „Du bist der Durchschnitt der fünf Menschen, mit denen du die meiste Zeit verbringst.“ Interessant, oder? Sich zu verändern bedarf also auch den Mut, sich aus einem Kreis von Menschen lösen zu wollen, die einen durch Bestätigung in der Komfortzone halten. Das passierte bei mir ganz automatisch. Ich habe heute viele neue Menschen in meinem Leben, aber auch alte Bekannte, die ich dadurch weniger oft sehen kann.

Den Gedanken, diese Geschichte preiszugeben, um andere auf ihrem Weg zu inspirieren, den mag ich! Sehr! Das Weitergeben ist zu einem großen Teil nämlich etwas, was meinem Wertekanon gerecht wird: Eigene Erfahrungen in die Gesellschaft zurückgeben und damit helfen, dass sich diese positiv(er) weiterentwickeln kann.

Und damit möchte ich schließen und all jenen, die sich durch meine Zeilen inspiriert fühlen, viel Kraft wünschen loszugehen. Vielleicht begegnen wir uns ja sogar dabei. Traut Euch, Ihr könnt das! 

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Über den Autor

„Mein Name ist René, ich lebe mit meiner Familie in Hamburg und ich bin Dozent, Designer, Mentor, Gründer und noch einiges mehr. Es fällt mir schwer, mich mit nur einer Nennung zu begnügen. Die Neugierde treibt mich unablässig voran, und nicht immer nur in eine Richtung. Fluch und Segen. Als Elektriker gestartet, als Rettungssanitäter den Zivildienst geleistet, dann Design, im zweiten Bildungsweg das Hobby zum Beruf gemacht. Seit drei Jahren auf Gesprächsreise.„